Therese K. hat ihre Suchterkrankung vor sechs Jahren in der Klinik Südhang stationär in Kirchlindach behandeln lassen. Seither geht es ihr viel besser, da die Auszeit mit Entzug und Therapie viel Klarheit in ihr Leben gebracht hat. Wegen einer Krise kürzlich ist sie wieder in ambulanter Behandlung in der Klinik Südhang, wo sie an ihren Themen arbeitet. Sie erzählt uns ihre Geschichte, ihre Erkenntnisse aus der Behandlung und wie sie kürzlich in der Traumatherapie von der Vergangenheit eingeholt wurde.
«Mein Mann hatte lange nicht bemerkt, dass mein Alkoholkonsum unkontrolliert war. Vor rund sechs Jahren kam ich an einen Punkt, wo ich mir eingestehen musste, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Daher hatte ich auf Anraten meiner Hausärztin die Klinik Südhang kontaktiert und mich in Behandlung begeben.
Bei meinem Arbeitgeber wollte ich mein Problem vorerst noch verheimlichen, bis ich merkte, dass es nicht möglich ist, eine Suchterkrankung in zwei Wochen zu kurieren. Also legte ich meine Abhängigkeit offen, worauf sie mich krankgeschrieben haben. Schon bald wurde mir klar, dass ich mir soviel Zeit geben wollte, wie ich benötigte, um wieder Boden unter den Füssen zu gewinnen. Zu wissen, dass ich an einem bestimmten Zeitpunkt wieder zu funktionieren hatte, setzte mich unter Druck. Daher habe ich nach ein paar Wochen in Therapie meine Stelle gekündet. Mein Mann hat mich darin unterstützt und finanziell konnten wir es uns leisten.
Letztlich habe ich mir für meine Genesung ein halbes Jahr Zeit genommen. Ein paar Wochen wohnte ich stationär in Kirchlindach und nahm am Therapieprogramm teil. Da kam ich zur Ruhe und lernte mich selbst besser kennen. Seither bin ich viel klarer, weil ich weiss, was ich will, und mich besser positionieren kann. Früher hat mir das Neinsagen Mühe bereitet. Noch habe ich es nicht ganz überwunden, aber ich bin schon viel besser geworden! Inzwischen kann ich hinstehen und sagen «Ich bin Therese, das ist meine Geschichte und ich stehe dazu.»
Wer ist Therese K.?
«Ich bin 56 Jahre alt und verheiratet. Meinen Mann habe ich mit 18 Jahren kennengelernt, geheiratet haben wir aber erst viel später. Im Jahr 2000 habe ich einen Sohn geboren, der mittlerweile ausgezogen ist. Ich wohne seit 35 Jahren auf dem Land. Mein Mann und ich besitzen ein Haus mit zwei Wohnungen, wir beide sind oben in der Attikawohnung zu Hause und unten wohnt seine Mutter resp. meine Schwiegermutter.
Als mein Sohn Marcel (er heisst eigentlich anders) zur Welt kam, habe ich meine Stelle gekündigt, um mich vollumfänglich aufs Muttersein zu konzentrieren. Mein Mann hingegen hat immer 100% gearbeitet und sich auf seine Karriere konzentriert. Ich habe alle Haushaltsarbeiten erledigt und mich um die Erziehung unseres Sohns gekümmert. Etwas 12 oder 13 Jahre lang war ich Hausfrau und Mutter, aber das hat mir mit der Zeit nicht mehr gereicht. Ich verspürte den Wunsch, wieder zu arbeiten – auch um die eigenen vier Wände zu verlassen und mein eigenes Geld zu verdienen. Auch war mein Sohn war kein einfaches Kind: Marcel hat sich spät entwickelt und wurde irgendwann mit ADHS diagnostiziert. Das hat mich sehr viel Energie gekostet. In Erziehungsbelangen liess mein Mann mich so ziemlich allein, nur in Krisensituationen hat er sich eingebracht.
Der Wiedereinstieg in die Berufswelt hat sich aber als enorm schwierig herausgestellt. In einem Zeitraum von zwei Jahren habe ich über 300 Bewerbungen verfasst und ausschliesslich Absagen erhalten. Darum habe ich mich weitergebildet, zuerst als Arztsekretärin, später als Pflegehelferin. Da hat es dann endlich funktioniert und ich habe in einem Heim mit körperlich und geistig beeinträchtigte Erwachsenen eine Stelle angetreten.
Während der Behandlung meiner Alkoholabhängigkeit habe ich beruflich ein halbes Jahr Pause eingelegt. Seither war ich auf verschiedenen Arbeitsstellen tätig. Meine letzte Stelle habe ich, weil es für mich nicht mehr stimmte, gekündet und ich trete eine neue Anstellung im Februar an, auf die ich mich freue. Das Arbeiten gibt mir Selbständigkeit und ist mir wichtig. Mein Sohn ist nun bald 24 Jahre alt, ausgezogen und selbständig. Und mit meinem Mann planen wir bereits die Zeit nach der Pensionierung, worauf ich mich freue!»
Die Suchtbiographie von Therese K.
Im Jahr 2000, als mein Sohn Marcel zur Welt kam, habe ich eine erste Krise entwickelt. Früher habe ich nie viel Alkohol konsumiert. Aber mit Marcel als Baby und später als Kleinkind war ich oft überfordert und fühlte mich allein gelassen mit meinem schwierigen Kind. Das Trinken begann schleichend. Wenn Marcel endlich eingeschlafen war, gönnte ich mir etwas. So, jetzt darf es ein Drink sein! Bei mir war es immer Rotwein. So hat es begonnen, lange noch heimlich. Ich habe nie in der Öffentlichkeit konsumiert und habe es niemandem anvertraut.
Auch während meiner Anstellung viel später in einem Heim habe ich im Versteckten konsumiert. Zwischen der Morgen- und der Abendschicht gab es eine lange Pause von 12 Uhr bis 16 Uhr. Da konnte ich es auch nicht lassen und habe mir etwas gegönnt. Dass ich jeweils am Abend nicht mehr voll arbeitsfähig war, ist eigentlich niemandem aufgefallen. Angesprochen wurde ich bloss einmal von einer Kollegin, die festgestellt hat, dass etwas nicht stimmt. Gerochen haben sie es sicher nicht, denn ich habe peinlichst darauf geachtet, dass niemand etwas merkt!
Ich habe in dieser Zeit tagsüber nicht viel getrunken. Aber kaum war ich zu Hause, musste ich weitertrinken. In meinen schlimmsten Zeiten und bevor ich in die Klinik Südhang eingetreten bin, trank ich täglich drei bis vier Flaschen Wein. Mein Mann hat es lange nicht gemerkt. Erst rund sechs Monate vor Eintritt in die Klinik hat er mich ertappt.
Das Trinken war ein riesiger Aufwand für mich, weil ich es heimlich tat. Wo kann ich noch etwas einkaufen? Wo ist noch ein Laden geöffnet, wenn ich im Heim bis 20 Uhr oder später Dienst habe? Wie kann ich meine Sucht vertuschen? Ich musste alles verbergen, das Altglas immer wieder entsorgen, bevor mein Mann nach Hause kam. Ich habe mir mehrere Verstecke eingerichtet im Haus.
Eines Tages hat er eines davon gefunden. Da hat er mich dann darauf angesprochen und gefragt, was los sei. Daraufhin erlitt ich einen Zusammenbruch. Mein Sohn war damals 17 Jahre alt. Auch er hat mich einmal dabei ertappt, dass ich den ganzen Tag konsumiert hatte. Ich war damals bereits masslos und als Marcel eines Tages nach seiner Arbeit nach Hause kam, lag ich auf dem Sofa und konnte nicht mehr geradestehen.
Marcel war bereits in der Lehrausbildung und kriegte Probleme, weil er abends nicht mehr gerne nach Hause kam. Er wusste nie, in welchem Zustand er mich antreffen würde!
Irgendwann war die Grenze überschritten und ich musste handeln. Wahrscheinlich wegen meinem Sohn Marcel habe ich mir eingestanden, dass ich am Ende war und Hilfe benötigte. Es war vor sechs Jahren, dass ich meine Hausärztin in mein Konsumproblem eingeweiht habe. Sie hat mich auf die Klinik Südhang aufmerksam gemacht. Daraufhin habe ich zum Telefonhörer gegriffen und in der Klinik angerufen, um mich anzumelden. Daraufhin ging alles rasch!
«Aktuell bin ich wieder in ambulanter Behandlung in einem Ambulatorium der Klinik Südhang. Da nehme ich regelmässig suchttherapeutische Gespräche wahr. Mit meinem Therapeuten kann ich über alles sprechen, das gibt mir viel Halt. Er kennt mich inzwischen besser als mein Mann! Mit seiner Unterstützung habe ich auch den kontrollierten Konsum ausprobiert. Er und ich schlossen eine Art mündlicher Vertrag ab: Gemeinsam haben wir festgelegt, wieviel ich konsumieren darf, wenn ich beispielsweise an einem Wochenende auf Besuch bei Freunden eingeladen bin. Fast ein Jahr lang hat das gut funktioniert, bis ich vor ein paar Monaten die Kontrolle wiederum verlor und einmal mehr in eine Krise geraten bin.»
Ein Trauma aus der Vergangenheit
«Auslöser war eine alte Geschichte, die sich vor 48 Jahren zugetragen. Über all die Jahre habe ich mit gar niemandem darüber gesprochen. Bis vor ein paar Wochen wusste lediglich mein Mann davon, jetzt ist es in der Traumatherapie und im Gespräch mit meinem Therapeuten hochgekommen: Als ich acht Jahre alt war, wurde ich von meinen beiden Cousins vergewaltigt. Der eine hat mich festgehalten, der andere hat den Akt vollzogen. Wir waren bei meiner Grossmutter zu Besuch, wie so oft, da meine Mutter mehr oder weniger alleinerziehend war und einer Arbeit nachging.
Als mich die Erlebnisse von damals vor ein paar Wochen eingeholt haben, stürzte ich in eine Krise und mein Alkoholkonsum stieg gerade wieder an. Daraufhin habe ich einen erneuten ambulanten Entzug vorgenommen, mit Unterstützung meines Therapeuten. Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich das geschafft habe!»
Im Ambulatorium hört man mir zu – das habe ich früher nicht gekannt
«Meinem Therapeuten kann ich alles erzählen. Er hört mir zu und nimmt mich ernst. Auch das kannte ich bisher nicht und das hat seine Gründe. Trotz massiver Drohungen durch die beiden Cousins wollte ich damals, am Abend nachdem es passiert war, den Vorfall meiner Mutter erzählen. Aber hat sie mir absolut keinen Glauben geschenkt! Sie hat mich überhaupt nicht gehört, hat meine Aussagen weggewiesen, das Geschehe nicht wahrhaben wollen. Dabei hatte ich nicht einmal richtig begriffen, was mit mir geschehen ist, ich wusste nur, dass die beiden Jungs etwas getan haben, das sie nicht hätten tun dürfen. Meine Mutter hätte mich unterstützen sollen, das hat sich aber nicht getan. Sie war wohl damit überfordert.
Also habe ich geschwiegen, mit niemandem mehr darüber gesprochen und über all die Jahre alles in mich gefressen. Dass sie hat mich damals nicht ernst genommen hat ist eine Tatsache, die mich bis heute begleitet. Zu gerne hätte ich gewusst, warum das so war, aber ich kann sie nicht mehr fragen.
Aktuell nehme ich Antabus ein, weil es mir Stabilität gibt in der Zeit, in der ich das Unrecht aufarbeite, das mir als junges Mädchen widerfahren ist. Dieses Medikament, das mir verunmöglicht, Alkohol zu konsumieren, will ich aber wegen der Nebenwirkungen nicht länger als sechs Monate zu mir nehmen.»
Erkenntnisse und Pläne für die Zukunft
«Einige Erkenntnisse habe ich bereits gemacht: Inzwischen weiss ich, warum ich ein Problem habe mit Nähe zu Menschen, insbesondere Männern. Ich kann einfach keine Nähe zulassen. Sexuelle Kontakte habe ich immer verabscheut, habe die Bedürfnisse meines Mannes einfach über mich ergehen lassen. Es hat mir sogar Mühe bereitet, Marcel, meinen eigenen Sohn zu umarmen!
Auch ist mir nun klar geworden, dass ich mich früher hätte öffnen sollen, um diese Themen anzugehen. Gewisse Dinge wie Zärtlichkeit haben mir ein Leben lang gefehlt. Nun erkenne ich erst, was ich dadurch verpasst habe.
Aber ich bin guter Dinge: Ich habe meine Stelle, die mich in letzter Zeit belastete, gekündet und kann im nächsten Februar eine neue Stelle antreten. Ich will meinen Rucksack des Lebens aufräumen, bevor ich pensioniert bin. Nun gehe ich mit meinem Therapeuten sachte ein Thema nach dem anderen an, damit ich Ballast aus der Vergangenheit abwerfen kann. Die Aufarbeitung des Traumas war bereits ein riesiger Schritt, den Umgang mit Alkohol will ich in den Griff kriegen.
Ich bin 56 Jahre alt und will jetzt und hier etwas unternehmen, das für mich stimmt. Ich werde mich nicht mehr verbiegen, ich will nun mein Leben so leben, wie ich es für mich richtig halte. Ich habe gelernt, Nein zu sagen, lasse mich nicht mehr in Muster drängen.
Mein Mann unterstützt mich dabei, versteht mich nun auch besser, kann sich einiges besser erklären. Wir reden wieder über wichtige Themen und haben neue gemeinsame Interessen entdeckt. Und auch mein Sohn besucht uns seit dem ambulanten Entzug wieder öfter, was mich freut.
Ich bin sehr zuversichtlich, was die Zukunft anbelangt!»