Traumatisierung in der Kindheit kann bei Menschen mit Alkoholabhängigkeit zu strukturellen Veränderungen der Vernetzung der Amygdala zu anderen Hirnregionen führen. Dieser Befund ist neu und weist darauf hin, dass die Untergruppe der Patientinnen und Patienten mit Alkoholabhängigkeit und zusätzlicher traumatischer Erfahrung in der Kindheit differenziert zu behandeln ist.
Während die Häufigkeit von Traumata in der Kindheit in der Allgemeinbevölkerung etwa bei 10 Prozent liegt, sind bis zu 55 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit davon betroffen, wie viele Studien einschliesslich der vorliegenden zeigen. Dass sich frühe Traumata negativ auf die psychische Gesundheit im Erwachsenenalter auswirken, ist wiederholt festgestellt worden. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Hinweise dafür, dass negative Erfahrungen in der frühen Kindheit tiefgreifende Auswirkungen auf das sich entwickelnde Gehirn haben können. Insbesondere diejenigen Regionen, welche während der Gehirnentwicklung empfindlich auf Stress reagieren (vor allem die Amygdala, der Hippocampus und der präfrontale Cortex) weisen sowohl strukturelle als auch funktionelle Veränderungen auf. Zahlreiche Studien fanden zudem, dass auch psychiatrische Erkrankungen (wie beispielsweise Alkoholabhängigkeit) zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Gehirn führen (z.B. ein verringertes Amygdalavolumen). Und Befunde in beiden Bereichen (sowohl Kindheitstraumatisierung als auch Alkoholabhängigkeit) besagen, dass eine dysfunktionale Emotionsregulation häufig vorkommt. Defizite in der Steuerung von Gefühlen hängen mit der Amygdala zusammen, da diese eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Affekten und Lernprozessen spielt.
Das Ziel der vorliegenden Studie war es, erstmals zu untersuchen, inwiefern sich alkoholabhängige Patientinnen und Patienten mit Kindheitstraumata von solchen ohne Kindheitstraumata unterscheiden, und zwar strukturell in der Amygdala und betreffend deren Verbindungen sowie hinsichtlich der Emotionsregulation. Dies, um ein besseres Verständnis und mögliche Behandlungsstrategien für diese Hochrisikopopulation zu entwickeln.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die strukturellen Verbindungen in und von der Amygdala ausgehend (Konnektivität) vermindert sind, nicht jedoch deren Volumen. Weiter zeigte sich, dass diese Reduktion der Konnektivität mit ausgeprägteren negativen und geringeren positiven Affekten verbunden ist.
Der fehlende Gruppenunterschied im Volumen (= räumlicher Inhalt) der Amygdala könnte daher kommen, dass sowohl bei Alkoholabhängigkeit allein als auch bei Kindheitstraumatisierung über ein vermindertes Amygdalavolumen berichtet wird.
Fazit
Die neuronalen Befunde deuten darauf hin, dass Traumatisierungen in der Kindheit bei Patientinnen und Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit zu strukturellen Veränderungen der Amygdala-Konnektivität führen können, was nahelegt, dass diese spezifische Gruppe einen unterscheidbaren neurobiologischen Subtyp (anders als bei Patientinnen und Patienten ohne Trauma) darstellen, der möglicherweise unterschiedliche Behandlungsansätze benötigt.
Autorin: lic. phil. Daniela Krneta, Stabschefin Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie UPD AG
(ursprünglich veröffentlicht: UPDate Newsletter, März 2022)
Publikation
Leila M. Soravia, Niklaus Denier, Franz Moggi, Matthias Grieder, Andrea Federspiel, Raphaela M. Tschümperlin, Hallie M. Batschelet, Sabine Vollstädt-Klein, Roland Wiest, Maria Stein, Tobias Bracht, Reduced structural connectivity oft he amygdala is associated with childhood trauma in adult patients with alcohol use disorder. Addiction Biology, March, 2022. DOI: 10.1111/adb.13164.