Das Leben ist ein Theater, und wir alle sind Schauspielerinnen und Schauspieler. Wir folgen unserem Drehbuch und müssen ständig improvisieren. Wir beachten mehr oder weniger die Regieanweisungen. Stecken in einigen Hauptrollen* und in vielen Nebenrollen. Sind in Tragödien und Komödien verwickelt. Fragen uns vielleicht manchmal, in welchen Film wir da geraten sind.
Im Lebenstheater sind wir Sohn oder Tochter, Schwester oder Bruder, Freund oder Kollegin. Vielleicht Mutter oder Vater. Und auch: Träumerin, Aussenseiter, Rebellin, Einzel- oder Draufgänger, Spassmacherin. Wir sind mutig oder gehemmt. Laut oder leise. Machen uns selber klein oder gross – mit allen Schattierungen dazwischen.
Einige Rollen lassen sich gut miteinander vereinbaren. Andere ergänzen oder beissen sich. Manchmal fallen wir komplett aus der Rolle und erfinden uns neu. Ersticken beinahe an den Erwartungen der anderen. Oder auch an den eigenen Vorstellungen: Ich bin so und so. Schon immer gewesen.
Aber was steckt noch alles in mir drin? Im Theater-Atelier der Kunsttherapie steigen wir aus den Gewohnheiten aus. Sind etwas lauter oder leiser als sonst. Etwas mutiger oder zurückhaltender. Probieren neue Körperhaltungen aus. Erlauben uns einen Spaziergang neben der Spur. Lachen hemmungslos. Ermutigen uns selber und die anderen. Suchen nach Unentdecktem in uns. Probieren neue Rollen aus. Üben das Improvisieren. Zerbrechen uns nicht den Kopf, was andere über uns denken. Legen die Furcht vor Fehlern ab. Versuchen wieder, selber die Regisseurinnen und Regisseure zu sein. Schlagen eine Brücke in den Alltag. Und üben so das Leben im Spiel mit den Möglichkeiten des Theaters.
Seit 1999 arbeitet Stephan Mathys als Kunsttherapeut in der Klinik Südhang und ist daneben immer mal wieder in künstlerische Projekte verwickelt.
* Das Wort «Rolle» stammt aus dem Theater. Die Griechen in der Antike schrieben die Stücke auf gerolltes Pergamentpapier. Die Schauspieler (Frauen waren bei diesem Beruf nicht zugelassen) bekamen nur ihren eigenen Text überreicht. So liess sich Papier sparen. Und keiner konnte das ganze Stück weiterverkaufen. Damit haben alle ihre persönliche Rolle erhalten – im ursprünglichen Sinn des Wortes.