Die Klinik Südhang behandelt in den drei Ambulatorien in Bern, Biel/Bienne und Burgdorf Patient*innen, die keine stationäre Behandlung in Betracht ziehen oder diese nicht benötigen. Die Bedürfnisse der suchterkrankten Menschen reichen von der suchtspezifischen Abklärung über den ambulanten Entzug und Therapie bis hin zu Unterstützung in Krisensituationen. Letztes Jahr haben rund 950 Menschen das Angebot wahrgenommen und sich ambulant behandeln lassen. Wo stehen sie im Leben und mit welchen Anliegen kommen sie? Ein Interview mit den beiden leitenden Fachpersonen der Ambulatorien Bern und Burgdorf.
Wer kommt zu Ihnen in die ambulante Behandlung? Wer fühlt sich durch das Angebot angesprochen?
Thomas Krebs: Wir behandeln Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen: Die einen funktionieren vollumfänglich in der Gesellschaft und kommen aus eigenem Antrieb oder weil ihr Umfeld sie dazu motiviert. Sie kontaktieren uns mit der Bitte um ein suchtspezifisches Beratungsgespräch. Andere Patient*innen sind durch das gesellschaftliche Raster gefallen und empfangen Sozialhilfe. Diese Patient*innen melden sich bei uns, weil ein Facharzt oder der/die Hausärzt*in uns empfohlen haben.
Wie läuft eine suchtspezifische Beratung ab?
Christine Fischer: In einem Gespräch führen wir eine Auslegeordnung mit den Hilfesuchenden durch und definieren ihre Bedürfnisse. Dafür nehmen wir uns rund 90 Minuten Zeit. Danach stellen wir Möglichkeiten und Angebote vor, die von Interesse sein könnten und geben eine Empfehlung ab. Manchmal führen wir zusätzlich somatische Untersuchungen durch.
Welche Angebote gibt es?
Thomas Krebs: Einzigartig in der Klinik Südhang ist, dass wir die gesamte Versorgungskette anbieten, vom Entzug im stationären, tagesklinischen oder ambulanten Setting mit anschliessender Psychotherapie bis zur Arbeitsintegration. Dieses Angebot richtet sich an Menschen, die am RAV angegliedert sind und Chancen auf eine reguläre Arbeit haben. Stellen wir hingegen bei Patient*innen fest, dass sie vorwiegend eine Tagesstruktur benötigen, verweisen wir sie an eine andere Organisation, die ein Beschäftigungsprogramm im Angebot hat.
Stationäre, tagesklinische oder ambulante Behandlung? Wer entscheidet, welche Therapie zur Anwendung kommt? Was sind die Kriterien?
Thomas Krebs: Die meisten Patient*innen kommen mit präzisen Vorstellungen und wissen, was sie wünschen. Oft liegt eine Abwehrhaltung gegenüber der stationären Behandlung vor. Es kommt für sie nicht in Frage, sich aus ihrem Alltag herauszunehmen und sich für eine gewisse Zeit in die Klinik nach Kirchlindach zu begeben. Mit ihnen planen wir eine zielführende Therapie, ohne dass sie dazu das Lebenssetting verlassen müssen.
Christine Fischer: Für viele Menschen ist das ambulante Angebot der Klinik Südhang attraktiv, etwa wenn es die berufliche oder familiäre Situation nicht zulässt, dass sie sich eine Auszeit zur Behandlung nehmen. Andere bevorzugen die ambulante Behandlung aus Diskretionsgründen, weil sie ihr Umfeld nicht in ihre Abhängigkeitserkrankung einbeziehen, etwa dann, wenn die berufliche Karriere einen hohen Stellenwert in ihrem Leben hat.
Thomas Krebs: Je unkontrollierter der Konsum, desto stärker empfehlen wir eine stationäre Behandlung. Insbesondere dann, wenn der Konsum bereits über lange Zeit hoch ist und das persönliche Umfeld ebenfalls konsumiert. Da ist eine Auszeit mit Entzug und Therapie sinnvoll, damit sich der oder die Betroffene den Neuanfang nach Therapieabschluss gut planen kann. Stark eingebundene Menschen kommen im stationären Aufenthalt zur Ruhe, da sie alle Aufgaben und Verpflichtungen für eine Weile abgeben können. Der Kontext des Betroffenen ist ebenfalls relevant: Gibt es ein unterstützendes Umfeld oder ist die Person auf sich gestellt? Und ausserdem gibt es ja auch die Tagesklinik, wo die Therapie tagsüber und von Montag bis Freitag stattfindet.
Wie läuft ein ambulanter Entzug konkret ab?
Christine Fischer: Im Vorgespräch wird der ambulante Entzug geplant, um mögliche Risiken auszuschliessen. Die ersten paar Tage planen wir tägliche Termine ein, auch wenn diese kurz sind. Wir klären den Zustand des Patienten ab, das Wohlbefinden und führen nicht selten medizinische Untersuchungen durch, um körperliche Komplikationen auszuschliessen. Bei starken Entzugssymptomen wie Unruhe und Suchtdruck setzen wir Medikamente ein. Zur Überwachung des sicheren Entzugs sind unsere Patient*innen manchmal auch durch ambulante Pflegefachpersonen zu Hause betreut. Der körperliche Entzug dauert bei Alkohol rund eine Woche. Auch bei Cannabis- oder Kokainabhängigkeit besteht die Möglichkeit eines ambulanten Entzugs.
Thomas Krebs: Auf den körperlichen Entzug folgen wöchentliche Sitzungen, später reichen in der Regel Gespräche alle zwei Wochen aus.
«Zur Wahrung der Diskretion bieten wir Besprechungstermine zu Randzeiten an, frühmorgens beispielsweise. Somit ist unser suchttherapeutische Angebot ins Arbeitsleben integrierbar!»
Christine Fischer, Leiterin Ambulatorium Bern
Und auf den Entzug folgt die Psychotherapie, wo an den Ursachen der Suchterkrankung gearbeitet wird?
Thomas Krebs: In der Psychotherapie ist oft zunächst der Umgang mit der Sucht das zentrale Thema. Rasch aber kommen weitere Themen dazu: die Beziehungsgestaltung, die Freizeitgestaltung, Abgrenzungsprobleme etc. Manchmal stellen wir Burnouts fest oder Nahezu-Burnouts. Schlussendlich erleben die Betroffenen oft einfach Stress in all seinen Formen. Es sind alles Themen unserer Gesellschaft, an denen wir gemeinsam arbeiten.
Die Angebote an ambulanter, tagesklinischer und stationärer Behandlung sind durchlässig. Welche Vorteile ergeben sich daraus?
Christine Fischer: Für rund die Hälfte unserer Patient*innen ist die ambulante Behandlung die Verlängerung ihres stationären Aufenthalts. Mit unserer suchttherapeutischen Betreuung begleiten wir sie nach abgeschlossener stationärer Therapie zurück ins Arbeits- und Berufsleben. Die ambulante Behandlung vermittelt ihnen zusätzliche Stabilität. Bei manchen reicht eine kurze Stabilisierung: Sie kommen zu zwei oder drei Gesprächen, bis wir feststellen, dass der Übergang gut funktioniert hat und wir die Behandlung abschliessen können. Andere bringen zahlreiche Themen mit, an denen sie zu arbeiten wünschen. Mit ihnen planen wir eine längerfristige Therapie zur Motivationsaufrechterhaltung und Verhaltensänderung, was dann auch mal mehrere Monate dauern kann.
Thomas Krebs: Das Ambulatorium der Klinik Südhang ist auch die Anlaufstelle bei Krisen und Notfallsituationen. Da kann es auch mal vorkommen, dass wir für eine Person in Krise einen raschen stationären Aufenthalt in Kirchlindach organisieren.
Welche Ziele verfolgt die Klinik Südhang mit ihren Patient*innen in der ambulanten Behandlung? Und wann kommt sie zu einem Ende?
Christine Fischer: Grundsätzlich streben wir eine Stabilisierung der suchterkrankten Menschen an. Alle Patient*innen der Klinik Südhang legen ihre persönlichen Ziele in Bezug auf ihren Konsum selbst fest. Das kann eine Abstinenz oder ein kontrollierter Konsum sein. Auch das ist möglich! Oder eine zeitlich begrenzte Abstinenz von ein, drei, sechs oder 12 Monaten.
Thomas Krebs: Wenn sich ein*e Patient*in stabilisiert, merken das beide Seiten. Einen Schlusspunkt zu setzen, ist dann oft für beide Seiten nicht ganz einfach. Oft wünschen die Betroffenen einen nächsten Termin in weiter Zukunft, in drei Monaten beispielsweise. Die Aussicht auf dieses Treffen gibt Sicherheit und lässt die Option offen, dass sie sich im Notfall bei uns melden können. Für uns ist das in Ordnung so.